WOLFGANG PUSCHNIG – 3 & 4
WOLFGANG PUSCHNIG – 3 & 4
lineup:
Wolfgang Puschnig – Altsaxophon
Klaus Dickbauer – Tenorsaxophon
Herbert Joos – Trompete
Michel Godard – Tuba / Serpent
Ein instrumentaler Viergesang für Werner Pirchner
„Werner Pirchner war eine singuläre Erscheinung, man kann ihn weder dem einen noch dem anderen Lager wirklich zuordnen. Ich denke zudem, dass er in der Volksmusik stark verwurzelt war, bei ihm ist viel von dort her gekommen. Für mich war er ein gutes Beispiel dafür, wie aus einer Tradition heraus plötzlich ein ganz neuer Ausdruck entstehen kann.
Ich habe Werner sehr, sehr lange gekannt, schon bevor er zum ’Vienna Art Orchestra’ kam. Später sind wir uns immer wieder über den Weg gelaufen. Bis eineinhalb Jahre vor seinem Tod, als er plötzlich wieder einmal bei mir in Kärnten aufgetaucht ist. Wir haben einen Spaziergang gemacht, er hat mir erzählt, er sei gerade dabei, seine Oper fertig zu schreiben. Und er hat mir daraus eine Arie vorgesungen, die den Titel hatte: ’Wem Du’s heute kannst besorgen, dem besorge es auch morgen.’“
Ein Volkslieder-Projekt von Wolfgang Puschnig als Hommage an Werner Pirchner, das macht zweifellos Sinn. Nicht nur durch die menschliche und ideelle Verbundenheit der beiden, die eine musikantische Grundhaltung ebenso einschloss wie existenzialistischen Humor und das Streben nach Klarheit, Essenz in der musikalischen Aussage. Auch die fehlende Berührungsangst zu gewachsenen Traditionen der eigenen Heimat eignet beiden als Charaktereigenschaft, obgleich diese stets mit kritischer Distanz gegenüber damit verbundenen ideologischen Konnotationen gepaart war.
Für die musikalische Identität des gebürtigen Klagenfurters Wolfgang Puschnigs, der 1974 im Alter von 18 Jahren zum Zwecke eines klassischen Flöten-Studiums nach Wien übersiedelte, hier jedoch drei Jahre später das „Vienna Art Orchestra“ mitbegründete, dem er bis 1989 als führender Solist angehören sollte, kann die Reflexion seiner musikalischen Sozialisation durch die Kärntner Vokalmusik geradezu als konstitutiv angesehen werden. Erste Spuren fanden sich bereits in der elegischen Stimmung von „Ziemlich valosn“, das 1983 im Quartett mit Harry Sokal, Mike Richmond und Wolfgang Reisinger (siehe die kürzlich erstveröffentlichte CD „Red White Red & Spangled“) und wenig später auf der LP „Prayer for Peace“ des grandiosen Quartetts „Air Mail“ verewigt wurde. Das Solo-Debüt „Pieces of a Dream“ von 1988 stellte bereits eine Art Coming-out in Bezug auf Puschnigs starke regionale Wurzeln dar, und dies nur vordergründig durch die Adaption einiger Volkslieder oder die Chorbearbeitung der heimlichen Kärntner Landeshymne „Is scho still uman See“. Mit einem Schlag war klar, dass seine unverwechselbare, bereits damals international akklamierte Saxophonspielweise in ihrem Hang zu melancholischer Lyrik und expressiver Kantabilität tief im slawisch-germanisch-romanischen Kulturengemisch Südösterreichs verwurzelt war. In Zeiten postmoderner Vielfalt eine originäre, höchst persönliche Klangsprache mit kosmopolitischer Offenheit zu verbinden, das ließ Wolfgang Puschnig in der Folge – etwa in der aufsehenerregenden Kooperation mit dem südkoreanischen Percussion-Quartett „Samul Nori“ oder in der Duo-Achse mit Ex-Ornette-Coleman-Bassist Jamaladeen Tacuma – zum Modellfall eines europäischen Jazzmusikers avancieren. Auch das brillante „Alpine Aspects“-Projekt, in dessen Rahmen er in dissonant verdichteten Bläsersätzen die „Amstettner Musikanten“ mit funkensprühenden Funk-Jazz-Energien konfrontierte, sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen.
Bei alldem überrascht, dass sich das jüngste Puschnig-Projekt einer Anregung von außen verdankt: In Auftrag gegeben wurden jene Volkslied-Bearbeitungen vom Wiener Konzerthaus, wo das Programm im Herbst 2001 seine Bühnenpremiere erlebte. Als Kombattanten hat das mittlerweile 46-jährige österreichische Jazz-Aushängeschild einige alte Freunde versammelt: Balladen-Maestro Herbert Joos, Puschnig seit frühen VAO- und „Part of Art“-Tagen verbunden, Klaus Dickbauer, seit 1990 Puschnigs Nachfolger in ersterem Ensemble wie auch sein Partner im gewitzt-virtuosen Vierer „Saxofour“, sowie Tuba- und Serpent-Genius Michel Godard aus Paris, einer der bedeutendsten europäischen Vertreter seiner Instrumente, mit Puschnig schon vor dem gemeinsam mit Linda Sharrock eingespielten Trio-Album „Dream Weavers“ (1997) bekannt.
Was den Saxophonisten an vielfach belächelten Liedern wie „In die Berg bin i gern“, „Der Wildschütz“ oder auch Heinrich Isaaks „Innsbruck, ich muss dich lassen“ reizt, ist „der Punkt, an dem sich das Material mit meinem innersten Denken in der Musik deckt. Ich glaube, dass Volkslieder eine Art von kollektiver Fokussierung darstellen. Inhaltlich wie musikalisch. Und wenn es da Sachen gibt, die vor Jahrhunderten entstanden sind, und die mich heute irgendwo berühren können, dann heißt das für mich, dass da noch etwas unter dem liegt, von dem man bloß sagt: ’Das ist halt ein altes Volkslied.’“
Durch dissonante Reharmonisierungen, Hinzufügung riffartiger kontrapunktischer Linien oder raffinierte Klangfarben-Mixturen unterzieht Wolfgang Puschnig das altbekannte Liedgut einem akustischen Lifting, ohne es herablassend zu persiflieren oder zu dekonstruieren. Puschnig ist nicht zufällig ein Musiker, dem emotionale Scheuklappen nicht nur nach außen, sondern gleichsam auch nach innen fremd sind. Werner Pirchner hätte wohl zufrieden lächelnd genickt.
Andreas Felber (Der Standard)
Beizufügen:
“Booklet-Text zur CD ‘3&4’ (Universal), Copyright by Andreas Felber”.
Falls dieser Text komplett in einem Medium abgedruckt wird, sollte er/sie sich zwecks Honorarabgeltung mit mir in Verbindung setzen.