Gehen wir unter?
(Eva Rossmann / DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2011/1.1.2012)
Gehen wir unter?
Foto: REUTERS/Ralph Orlowski
Sit-in vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt: „Habt ihr euch nie
gefragt, warum Jobs gestrichen, Sozialleistungen abgeschafft werden
sollen, aber keiner fordert, dass auch die Reichen zahlen sollen?“
Foto: STANDARD / Urban
Eva Rossmann, geboren 1962 in Graz, ist Schriftstellerin. Sie schreibt
Sachbücher und Krimis. Bevor sie 1994 freie Autorin wurde, war sie unter
anderem Verfassungsjuristin im Bundeskanzleramt und politische
Journalistin. 1997 war sie Mitinitiatorin des österreichischen
FrauenVolksbegehrens. Seit 1999 schreibt sie jedes Jahr einen
Kriminalroman rund um die Wiener Journalistin Mira Valensky. Rossmann
moderiert auch die Diskussionssendung „Club 2“. Sie lebt im
Waldviertel.
Habt
ihr euch nie gefragt, warum in der Krise genau nach denen gerufen wird,
die sie verursacht haben? Fondsmanager werden um Expertisen gebeten,
und Weltgeldfunktionäre verordnen Sparpakete.
Wenn da eine käme und sagte, sie würde als Stellvertreterin den Auftrag
haben, die Wucherer und Hedgefondskaiser hinauszutreiben, Rating- und
Bankmanager vorzuführen, und mehr noch, die allerorts grassierende geile
Gier im Namen des großen Ganzen zu bekämpfen, was würde geschehen? Sie
hätte wohl Glück, nicht gleich in einer Einrichtung zur Bekämpfung von
Burnout oder schizoiden Wahnvorstellungen zu landen, in der sie jeder so
lange verstehen würde, bis sie sich als geheilt aufgäbe.
Beriefe sie sich bloß auf Auftrag und Großes, wäre das nicht weiter
auffällig, das tun sie heute von rechts und links, und selbst Fußballer
Arnautovic sagt, er sei „für dieses Land verantwortlich“ (er hat bloß
das kleine Österreich gemeint). Aber: Sie käme und stellte sich in die
Nationalbank, eine ehrenwerte Institution, die nie etwas dafür kann,
weil sie besten Wissens verwaltet, und würde seltsame Rede führen:
„Sind denn Preiskartelle und Absprachen nicht verboten? Wie kann es dann
sein, dass Rating-Agenturen bestimmen, welche Zinsen ein Staat für seine
Schulden zahlen muss? Ist die EU denn etwa auf dem Auge blind, in das
ihr die wirklich Mächtigen drohen, eine reinzuhauen?“
Ist die EU etwa blind?
Man würde nicht sofort die Polizei holen, aber bedrohlich sind solche
Reden immer, niemand kann sagen, was Zornige als nächstes tun, und ob
sie nicht Bomben unter ihren weiten Jacken tragen. Also mutige junge
Finanzmanager vor, sie sind im Morgengrauen schon zwölf Kilometer
gejoggt und haben danach Müsli gegessen, die sind gestählt, auch mental,
die würden sie zu überreden versuchen, ihre Thesen doch in einer E-Mail
zusammenzufassen, man werde sie lesen und weiterleiten. Doch keiner wäre
so stark wie ihre Botschaft, sie würde sie abschütteln.
Geldwechseltische umzustoßen gelingt nicht mehr, das ist alles virtuell
und um so etwas auch nur anzustoßen, muss man Hacker sein, also würde
sie weiterreden: „Habt ihr euch nie gefragt, warum in der Krise genau
nach denen gerufen wird, die sie verursacht haben? Fondsmanager werden
um Expertise gebeten, Bankpräsidenten und liberale Finanzprofessoren
werden zu Regierungschefs, Weltgeldfunktionäre verordnen Sparpakete.
Habt ihr euch nie gefragt, warum Jobs gestrichen, Löhne gekürzt,
Sozialleistungen abgeschafft werden sollen, aber keiner von denen
fordert, dass auch die Reichen zahlen sollen?“
Und während der Leiter unserer Nationalbank dafür plädierte, sie
sprechen zu lassen, hätten andere längst entschieden, dass das
politische Verhetzung oder noch Schlimmeres, jedenfalls aber
Hausfriedensbruch sei. Habe die Lichtgestalt einer Finanzministerin
nicht erst vor kurzem vor den „enormen Feindbildern“, die gegen Banken
aufgebaut würden, gewarnt? „So was hatten wir schon einmal, damals
verbrämt gegen die Juden, aber damals waren ähnliche Gruppierungen
gemeint. Es hat das zweimal in einem Krieg geendet.“ Wehret also den
Anfängen, und schon wäre Polizei da, die natürlich nicht die Rede
verböte, man ist geschult und das Wort ist frei, schließlich leben wir
in einer Demokratie, aber der Ort für das Wort sei falsch gewählt und
eine unzulässige Verwaltungsübertretung, vieler Paragraphen halber, die
man suchen und auch noch finden werde.
Und weil alles schnell gehen würde, und eine Sekretärin einen Freund
hat, der seine Zweifel und anderes studiert, stünden schon einige
Menschen vor der Tür der Nationalbank, wenn sie polizei-begleitet
herauskäme, noch immer laut redend: „Warum fordern diese Finanzexperten
niemals Umverteilung? Wenn Ärmere mehr Geld hätten, dann würden sie es
ausgeben, das kurbelt den Konsum an und das die Staatseinnahmen. Selbst
in ihrem eigenen System also wäre so etwas von Vorteil. Könnte es sein,
dass sie am Vorteil der Allgemeinheit gar nicht interessiert sind,
sondern bloß an ihrem eigenen? Könnte es sein, dass sie sich freuen,
wenn Staaten höhere Zinsen für ihre Schulden zahlen müssen, weil sie und
ihre Bankenfreunde daran verdienen?“
Ein paar der Menschen würden applaudieren und den Polizisten, die
schließlich nur ihre Pflicht täten, böse Blicke zuwerfen. Man würde
ihnen sogar drohen, die Sache öffentlich zu machen und
Polizeiübergriffe, die lasse man sich nicht gefallen und überhaupt habe
sie recht, man sei von einer Organisation, die derartiges schon lange
sage, auch wenn einem die Mächtigen nie zuhörten. Und die meisten
Ohnmächtigen leider auch nicht. Ein Kameramann würde erscheinen, das
Gerät auf der Schulter, und einer würde wissen wollen, von welchem
Medium er geschickt worden sei, aber der würde bloß filmen und nichts
sagen, und zwei junge Angestellte der Nationalbank würden stehen bleiben
und überlegen, ob sie ins Fernsehen wollen. Sie aber würde,
polizeiflankiert, die Rede fortsetzen: „Sie verdienen an den hohen
Zinsen, die die Staaten zahlen müssen, sie haben keinerlei Interesse,
die Krise zu beenden. Wenn ihre Bankenfreunde sich doch einmal
verspekulieren und ein Land nicht mehr zahlen kann, dann sind diese
guter Hoffnung, gerettet zu werden: Von denen, die sie ausgenommen
haben. Weil am ehesten gibt es noch die Solidarität aus Angst vor
Machtverlust, die Solidarität der Staaten mit den Banken.“
„Also mutige junge Finanzmanager vor, sie sind im Morgengrauen schon
zwölf Kilometer gejoggt und haben danach Müsli gegessen, die sind
gestählt, auch mental … „
Die geile Gier
Und dann würden die Polizeibeamten die Frau mit möglichst freundlicher
Bestimmtheit und einigem Nachdruck in den Polizeiwagen setzen. Und die
Gruppe von Menschen vor der Nationalbank würde eine Presseaussendung
formulieren, von Polizeistaatmethoden und dringend notwendigen
Änderungen im Finanzsystem wäre die Rede. Der Kameramann würde an
seinem Beitrag schneiden, eineinhalb Minuten dürfe er sein, und in den
Stadtnachrichten eines Privatsenders plante man ihn nach der Eröffnung
der großen Kunstausstellung, unterstützt von einem privaten
Glücksspielanbieter, ein.
Weil in einer altbewährten Talkshow mit sowohl gesellschaftspolitischem
als auch zuschauerquotenmäßigem Anspruch gerade „Die Krise – gehen wir
unter?“ diskutiert werden sollte, und dort jemand auch einen linkslinken
Fühler hat, würde sie eingeladen, live und im ehemals staat-lichen
Fernsehen aufzutreten. Weil Extrempositionen tun einer Talkshow
jedenfalls gut. Dort würde sie mit Mikrophon, guten Ratschlägen und
Wasser versorgt in einen großen Sessel gesetzt werden, und könnte Banker
und Experten und eine Aussteigerin begrüßen. Bevor die Sendung losginge,
würde die Moderatorin sagen, dass ihr eine kontroverse Diskussion lieb
und wert sei, wobei bitte nicht alle auf einmal reden sollten. Und ein
anerkannter Ex-Banker mit dichtem weißem Haar, einer, der sich kein
Blatt mehr vor den Mund zu nehmen braucht, weil er in Pension ist, und
für den Fall des Krisenfalles längst ein Grundstück in Übersee sein
Eigen nennt, würde seinen Nachbarn, einen hungrigen Hedgefondsmanager
fragen: „Wer ist denn die?“
Und sie würde nicht bloß gegen die Banken wettern, gegen verbotene
Preiskartelle, Wucherzinsen, Sparprogramme, die viele ärmer und einige
noch reicher machen, sondern sie würde sagen: „Die geile Gier, die hat
nicht bloß Banker gepackt, Schulden machen und hoffen aufs Glück oder
irgendwen, der es richten wird. Weil wenn du nicht billiger kaufst,
nicht mehr dafür bekommst, wenn du nicht nimmst, was du kriegen kannst,
dann giltst du als dumm.“
Der ehemalige Banker, der vorgesorgt hat, würde nicken und von den
einfachen Dingen des Lebens sprechen. Sie würde ihn fragen, ob er bereit
sei, mit ihr die Wucherer und Hedgefondskaiser hinauszutreiben, Rating-
und Bankmanager vorzuführen, und die allerorts grassierende geile Gier
im Namen des großen Ganzen zu bekämpfen. „So einfach ist das nicht“,
würde sich der Hedgefondsmanager an seiner statt empören. Und wenn sie
dann fragte: „Was wäre daran kompliziert, Wucherzinsen für
Staatsschulden zu verbieten? Staaten bekämen Geld zu niedrigeren Zinsen
oder sie bekämen keines – und kein Politiker könnte sie so weiter in die
Schuldenfalle treiben“, würde Mister Hedgefonds antworten: „Lassen Sie
mich jetzt endlich ausreden, ich habe Sie ja auch reden lassen.“
Und danach, im Sondergastraum des Fernsehsenders, bei Getränken und
Brötchen, die seit Stunden darauf gewartet hätten, verzehrt zu werden,
würde die Moderatorin ihr, noch aufgewühlt von dem Gefühl, live da
gewesen zu sein, die Hand schütteln: „Das war wirklich großartig. Und
ganz wichtig für unsere Sendung. – Weißwein? Rotwein? Oder soll es etwas
Alkoholfreies sein?“
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