WELCOME_1 | MOTION TRIO
Im Rahmen unseres über fast 2 Jahre gehenden Schwerpunktes WELCOME (die neuen EU-Beitrittsländer stellen sich musikalisch vor) – eine grossartige Formation aus Polen.
lineup:
Janusz Wojtarowicz_Akkordeon
Pawel Baranek_Akkordeon
Marcin Galazyn_Akkordeon
Das „Trio infernal“ der polnischen Akkordeonavantgarde widmet sich vor allem unkonventioneller zeitgenössischer Musik, welche durchsetzt ist mit Elementen des Jazz, des Rock und des Folk. Das von Bandleader und Chefkomponist Janusz Wojtarowicz ins Leben gerufene Trio wurde von Polens Musikpresse unisono zum besten Debüt-Act des Jahres 2000 gekürt.
Bereits zuvor war ihre kurze Karriere mit Preisen und Auszeichnungen gepflastert („Grand Prix“-Preis beim 4. Internationalen Krzysztof-Penderecki-Wettbewerb für zeitgenössische Kammermusik in Krakau oder etwa im selben Jahr den Titel „Beste Aufnahme“ für ihr erstes Album „Pictures“).
Die Musikjournalisten loben vor allem die herausragende Individualität der einzelnen Interpreten und die enorme Spontaneität und Energie ihres Zusammenspiels. Stile zu mixen, ist keiner Szene mehr etwas Besonderes. Doch es ist die Art des Mischungsverhältnisses, mit der das Motion Trio zu begeistern vermag und die es ihr Auditorien sowohl in klassischen Konzerthallen als auch in verrauchten Jazzkellern und bei World-Music-Festivals sichert.
http://motion-trio.art.pl/
Motion Trio: Aufbruch zu neuen Akkordeon-Soundwelten
Die Hände verschlossen sich automatisch. Die Kälte der Kirche und die Unbequemlichkeit der Holzbänke verführte zur Betstellung. Ob man wollte oder nicht. Der perfekte Kontrast zur sündigen Kirchenkälte wurde im beseelten Spiel dreier polnischer Akkordeonkünstler hergestellt. Seelenbalsam. Selig waren nämlich diejenigen, die Motion Trio spielen hörten – und das waren nicht wenige am Tag 16 des Akkordeonfestivals.
Die große Überraschung des Festivals, wenn man so will, bot das Motion Trio. Ohne große Erwartungen wollte man den ersten Part des Abends über sich ergehen lassen, und dann das. Was sie und vor allem in welcher Art und Natürlichkeit (denn der Begriff Technik wäre beim Trio nicht ganz richtig) Janusz Wojtarowicz, Pawel Baranek und Marcin Galazyn handwerkten überschritt zuweilen die Grenze bislang Gehörten im akkordeonistischen Spiel. Innovative (der Begriff ist bei diesem Trio tatsächlich gültig) Sounds entlockten die drei dem Akkordeon. Im Gegensatz zu Akkordeonisten a la Hans Peter Falkner, die ihr Instrument mit Midi-Geräten und anderen technischen Firlefanzen verbinden, benötigen die drei Polen einzig und allein ihr Instrument.
Kriegscollage: Flugzeuggedröhn, Maschinengewehrsalven, marschierende Soldaten inklusive Militärorchester. Kriegsbilder, die beängstigend echt klangen, entlockten die drei dem Akkordeon. „Das Stück war in 30 Minuten fertig. Wir waren ein bisschen betrunken, saßen vor dem TV-Gerät und sahen diese Kriegsbilder aus Tschetschenien. Wir stellten den Ton ab, griffen zu unseren Akkordeons und spielten zu den Bildern“, erzählte Janusz Wojtarowicz nach dem Konzert über die Entstehung des Kriegssongs. Nochmals: Bands wie Pink Floyd benötigen für solcherart Soundspektakel tonnenweise Equipment, das Motion Trio drei Akkordeons.
Dem um nichts nach stand „Der kurze Augenblick“ – eine Kindheitserinnerung eines verregneten und missglückten Zirkusbesuch. Ein trauriger Tag im Leben eines Kindes, hoch poetisch und dennoch wortlos umgesetzt. Danach hoben sie endgültig ab, hatten die Nase voll von der Erde und gingen im Weltraum spazieren. „Weltraumflug“, „Sterne“, „Das kosmische Karussell“ und „Die kosmische Stille“, angelehnt an den Ambient-Sound von Brian Eno. Dort, wo die elektronischen Spielereien der deutschen Gruppe „Kraftwerk“ in die Statik verfiel, setzt das Motion Trio akustisch fort. Electronics ohne Elektronik, oder: Wer braucht schon Synthesizer?
Der Ausflug in den Kosmos war ein Ringelspiel der Gefühle, in abstrakter Schönheit und irritierender Formvollendung experimentellen Akkordeonspiels beschritten sie neue Wege mit neuem Sound und neuen Songs. „25 Prozent“, so Wojtarowicz, „war an diesem Abend Improvisation.“ Über die Zukunft des Akkordeonspiels meinte er: „Andere Instrumente wie Geige, Gitarre, Klavier wurden auf ihre Art bereits ausgereizt, da kann nicht mehr wirklich viel Neues entstehen. Ganz anders beim Akkordeon. Das wird jetzt erst so nach und nach entdeckt und experimentell gespielt. Die Akkordeon-Traditionalisten sind erschöpft und unser Ziel ist es, nie gehörte Töne dem Akkordeon zu entlocken, vollkommen neue Sounds und Formen zu entwickeln, auf CD und natürlich auch live umzusetzen. Live bedeutet unser Spiel eine besondere Herausforderung, denn im Studio kann man in gewisser Weise schummeln, nicht jedoch während eines Konzerts.“
Improvisiert war auch die Rückkehr zur Erde. Während die letzten Töne von „Die kosmische Stille“ ausklangen, erwachte ein Baby und führte mit dem Geschrei perfekt in das abschließende Lied „Das Erwachen“, bevor es in der Zugabe gleich wieder auf Reisebeobachtung ging. „Der Bahnhof“. Müßig zu schreiben, was man da alles sah, schloss man die Augen.
Motion Trio: Nicht nur die größte Überraschung, sondern auch der bisher beste Act des Akkordeonfestivals.
Manfred Horak, JazzZeit
(Akkordeonfestival Wien, März 2002)